Rudolf Bing, der seine MetropolitanOpera
mit eiserner Hand leitete, wollte natürlich nach dem Umzug ins moderne
Lincoln-Center nur das Beste auf die Bühne bringen. Die Künstler waren das
Mittel zum Zweck, die glitzernde Society zu befriedigen. Eine Aufführung ohne
Schlagzeile galt Bing als Fiasko. Ihm war fast jedes Mittel recht, das Medium
Oper mit der Zugkräftigkeit berühmter Namen zu vermählen. Eine Zauberflöte
in den Bühnenbildern nach Vorlagen des weltbekannten französischen Malers Marc
Chagall (damals bereits 79 Jahre alt) schien dabei ein sicherer Garant für
einen Aufführungstriumph.
Nun hat sich
Rudolf Bing aber der Nachwelt durch zahlreiche Bemerkungen bezüglich des
Opernbetriebs und insbesondere über Stimmen nicht unbedingt als ein kompetenter
Experte gezeigt. Bing beschäftigte Regisseure, die ihre Sänger tanzen, fechten,
kriechen und andere Kapriolen vollführen ließen. Gedda wurde in Chagalls Zauberflöte
nach der Musik von Mozart zu so einem Opfer. Er hatte ein bombastisches weißes
Kostüm zu tragen, das nicht nur schwer wog, sondern auch kaum die Möglichkeit
zum Atem holen gestattete. Als Gedda sich erstmalig im Spiegel betrachtete,
dachte er nur: „Du siehst aus wie GorgeousGeorge!(Der
prachtvolle George)“. Das war ein damals bekannter Ringer von aparter
Grobschlächtigkeit. Bing zerstreite wie üblich alle Zweifel, und gleich als
sich der Vorhang am 19. Februar 1967 zur ersten Aufführung hob, und sich die
ersten „Ah, Chagall, Chagall...“-Rufe wieder gelegt hatten, hörte Nicolai in
den Kulissen ein Gekicher: „He´s looking like Gorgeous George!“ Nach zähem hin
und her war Bing bereit, Geddas Kostüm ändern zu lassen. Man wählte eine Farbe,
die dann aber vor dem gemalten Hintergrund vollkommen verschwand. Der Dirigent
des Abends war Josef Krips.
Erfreulicher war
kurz zuvor, am 28. Januar, der Don Giovanni an der Metropolitan
mit Maestro Karl Böhm und Cesare Siepi als Schürzenjäger. Auch Joan Sutherland
als Donna Anna und die große spanische Sopranistin Pilar Lorengar als Donna
Elvira standen auf der Besetzungsliste. Ein Mitschnitt hat eine der
denkwürdigen Aufführungen verewigt. Danach trat Gedda als Don Ottavio auch im
Münchener Herkulessaal unter Joseph Keilberth auf. Die Sutherland war auch
Geddas Partnerin am 21. Mai in Wien bei der von Richard Bonynge geleiteten
Vorstellung von Joseph Haydns barockem Orfeo. Mit nahezu selbiger
Besetzung wurde das seltene Werk später auch in Edinburgh aufgeführt.
Mitschnitte gibt es in beiden Fällen! Konserviert wurde auch Geddas erneuter
Höhenflug in Bellinis I puritani beim Maggio Musicale in Florenz im Mai.
Ihm zur Seite die niederländische Sopranistin Christina Deutekom. Riccardo Muti dirigierte.
Vom 4. bis zum 8. Juni entstand dann
im Münchener Bürgerbräu mit Hinblick auf Geddas großen Erfolg 1965 in der
Wiener Volksoper die erste Stereogesamtaufnahme von Lehars Land des Lächelns.
Zeitgleich verewigte man noch Auszüge aus Die lustige Witwe. Beide
Operetten führten Anneliese Rothenberger an der Spitze der Besetzung, bei der Witwe
konnte man auch auf Erika Köth und den Ungarn Robert Ilosfalvy zurückgreifen,
dessen sich strahlend anbahnende Karriere (Ungarn, Kölner Oper,
Schallplattenaufnahmen mit Sills und Rothenberger) rasch wieder im Nichts
verlief.
Nicolai Gedda als
chinesischer Prinz Sou-Chong gehört zu den Sternstunden der Operette auf der
Schallplatte. Der Schwede bot eine Interpretation, die Kritiker rund um den
Globus enthusiastisch bewertet haben. Nach Kestings Einschätzung hat „Gedda
Operette mit der Noblesse eines Mozart-Sängers geboten, zugleich aber mit der
pointierten Diktion eines Chanson-Sängers versehen.“ Die großen Arien des
Prinzen singt er nicht wie Tauber, sondern mit der Beherrschung seiner
stimmlichen Mittel, konzentriert auf den Wohllaut der Musik. So wie Peter
Anders zuvor, würzt auch Gedda seinen nuancierten Ausdruck mit einer fast schon
intellektuellen Pikanterie. Es lacht die Stimme, sie singt nach den Worten
Kestings „mit hochgezogener Augenbraue!“
Der Verfasser
dieser Chronologie ist überzeugt, Geddas Interpretationsstil lässt sich
vor-nehmlich durch seine Operettenaufnahmen begreifen. Der innere Sinn einer
Melodie wurde von dem Tenor erkannt und zum Klingen gebracht. In seinem Entwurf
einer neuen Ästhetik der Tonkunst schrieb Ferruccio Busoni: „Es darf der
Künstler, wo er rühren soll, nicht selber gerührt sein!“ Der Sänger brach auch
eine Lanze für die oftmals verschmähte Gattung der vermeintlich leichten
Operette: „Sie ist schwieriger als Oper. Dort gibt es viel gesprochenen Dialog,
und es wird verlangt, daß man auch gut Theater spielen kann.“ Diese Ansicht
vertrat auch stets Anneliese Rothenberger, die einmal sagte: „Operette muß so
natürlich gesungen werden, als spräche man!“ Zwischen Gedda und der
Sopranistin, die damals im Rheingau lebte, entwickelte sich eine künstlerische
Partnerschaft, die sich aber scheinbar nie in einer privaten Freundschaft
festigte. In seinem Erinnerungsbuch erwähnt der Tenor Anneliese Rothenberger
nicht; eine weitere von vielen Ungereimtheiten. Beide Künstler betonten aber
einmal, nie den privaten Kontakt zu
anderen Sängern gesucht zu haben.
Gedda 1994 zu Opernglas:
Ich bin sehr wenig mit Sängern zusammen, denn es wird
fast immer mit Neid und negativ von den Kollegen gesprochen. Dagegen bin ich
allergisch.
Unmittelbar
danach zeichnete Gedda mit dem Orchester der Bayerischen Staatsoper unter
Heinrich Bender sein berühmtes Album mit deutschen Arien auf. Er sang >DiesBildnis< aus Mozarts Zauberflöte, >HorchdieLerche<
aus Otto Nicolais Die lustigen Weiber von Windsor, Hüons zwei Szenen aus
Oberon von Weber, die Arie aus dem 3. Akt von Flotows vergessener Oper Alessandro
Stradella, Lohengrins >Gralserzählung< und >MeinlieberSchwan<, Goldmarks >Magische Töne< aus Die Königin
von Saba und sogar Florestans großen Monolog >Gott, welch´
Dunkelhier< aus Beethovens Fidelio. Diesen Versuch, so
schrieb einst Jürgen Kesting, „hat Gedda bestanden, ohne aber wirklich zu
beeindrucken, geschweige denn zu berühren, weil er zu rühren versucht.
Das extravertierte Pathos führt zu einer unkonzentrierten Tongebung, und der Poco-allegro-Teil
ist unsicher.“ Die Hüon-Arien aber lobt Kesting weit über die von Helge
Rosvaenge.
Vom 10. bis 16.
September widmete sich Gedda wieder einem Operettentandem: Eine Nacht in
Venedig von Johann Strauß und Millöckers Bettelstudent stand in
München unter Franz Allers auf dem Programm. In beiden Aufnahmen wurde die 1920
in Barnaul geborene Rita Streich eingesetzt, deren silberner Koloratursopran
sich für Operetten ideal ausnahm. Um den zugkräftigen Namen der Rothenberger
auszunutzen, mogelte man schnell zwei Aufnahmen von 1965 in die Nacht in
Venedig hinein, die mit Hermann Prey einen weiteren bekannten Namen aufbot.
Er sang auch den Oberst Ollendorf in Bettelstudent. Cesare Curzi
erschien als Caramello in der Nacht in Venedig nur einmal in einer
Gedda-Operette. Die Strauß-Aufnahme konnte aber dem Querschnitt mit Fritz
Wunderlich unter Fried Walter nicht das Wasser reichen, obwohl in ihr Rudolf
Schock mit gequälter Tränenstimme den Herzog Guido gab.
1967 war Nicolai
Gedda sicherlich der höchstbezahlte Tenor der Welt. Er sah sich jedes Jahr
erneut gezwungen, zum Zwecke der Steuererklärung in Schweden dem Fiskus
entgegen zu treten. Geddas Freund und langjähriger Bühnenpartner George London
begeisterte ihn für die Schweiz, wo dieser in Nähe von Laussane bereits mit
seiner Gattin lebte. Nicolai und Anasta-sia Gedda entdeckten in Tolochenaz,
unweit von Morges im Kanton Vaud, einen alten Bauernhof, den sie zu einem
annehmbaren Preis kauften. Doch hierhin konnte der Sänger nur selten kommen.
Die Verpflichtungen in aller Welt waren enorm, und Gedda nahm ein Angebot nach
dem anderen an. Er sang schier alles – auf der Bühne und in den Plattenstudios.
Er reiste schon
zwei Tage nach Beendigung der Bettelstudent-Aufnahme nach Paris, und
sang zur Pianobegleitung von Aldo Ciccolini französische Lieder für die Pariser
EMI. In der zweiten Novemberwoche entstanden an 4 Tagen in London jene
Aufnahmen italienischer Arien, die dann gemeinsam mit Material von 1966 zu Geddas
Einzelplatte Reconditaarmonia zusammengefaßt wurden (In
Deutschland nannte man die LP BerühmteitalienischeArien.)
Vom 6. bis zum 15. Oktober und am 22. Dezember spielte er Mozarts Entführung
in London mit Yehudi Menuhin in englischer Sprache ein. Diesmal wurde auch die Baumeister-Arie
(>IchbaueganzaufdeineStärke<)
nicht gestrichen. Mit Klemperer arbeitete er noch einmal für Bachs Messe in
H-Moll zusammen. Ihm zur Seite sangen Agnes Giebel und Janet Baker.
Der Rigoletto
mit Cornell MacNeil als Narr und Reri Grist als Gilda wurde zwiespältig
bewertet, und wird selten zu den gelungenen Aufnahmen dieser mittleren
Verdi-Oper gezählt. In seiner Abhandlung DiegroßenSänger
vergisst Jürgen Kesting im Kapitel über Gedda die Einspielung einfach. Auch Jens
Malte-Fischer erwähnt sie nicht. MacNeils Portrait bezeichnete Kesting „faserig
und unfokussiert“. Erst im Kapitel über Reri Grist schreibt er: „Sie passt zu
dem klanglich kühlen und auf angestrengte Weise emphatischen Nicolai Gedda. Die
Duette mit Cornell MacNeil sind, was die Klangbalance, Kolorierung und
Phrasierung angeht, enervierend.“ Auch mir will der Herzog von Alfredo Kraus
mehr gefallen.
In der schier
unübersehbaren Diskographie Geddas lassen sich viele Aufnahmen leider nicht
näher datieren. Noch weniger lässt sich das Privatleben des Sängers
rekonstruieren. Bekannt ist sein Umzug 1968 nach Tolochenaz. Hier lebte bereits
in ruhiger Abgeschiedenheit seit einigen Jahren auch Audrey Hepburn. Es bleibt
zu vermuten, daß die Ehe des Sängers damals noch intakt war. Auf vielen Photos
jener Jahre jedenfalls zeigt er sich mit seiner lächelnden Gattin Anastasia.
1968 stand in
London Mendelssohn Elijah (Elias) mit Gwyneth Jones, Janet Baker und
Dietrich Fischer-Dieskau unter Rafael Frühbeck de Burgos ebenso auf dem
Programm wie Webers Der Freischütz im Frühjahr in München. Hier war
Birgit Nilsson als Agathe die Partnerin Geddas, der seinen Max routiniert
ablieferte. Auch die vom 2. bis 11. März aufgezeichnete Martha (mit
Rothenberger, Prey und der blutjungen Brigitte Fassbander) bietet solide
Volkstümlichkeit, mehr nicht. Beide Werke wurden von Robert Heger geleitet.
Unmittelbar danach, am 22. März 1968, bildete Gedda gemeinsam mit Joan
Sutherland, Phyllis Curtin, Mildred Miller, Jerome Hines, Tito Gobbi, Charles
Anthony und dem Dirigenten Donald Vorhees ein zu neckischen Späßen aufgelegtes
Ensemble, das sich im Rahmen einer amerikanischen TV-Show der BellTelephoneHour im New Yorker Fernsehstudio traf. In insgesamt sechs live
gesungenen Musikdarbietungen steigerten sich die Ausführenden vom Duo zum
Sextett. Die Sendung hatte man daher Twotosix genannt;
Gedda sang in Auszügen aus Faust, Rigoletto, Meistersinger und Lucia
di Lammermoor. Die ganze Show dauerte nur 52 Minuten, bereitete aber
sichtlich allen Beteiligten viel Freude.
Am 6. und 13.
April folgten Auftritte in Roméo et Juliette gemeinsam mit der Freni an
der Met, ein weiterer Orfeo von Hadyn mit der Sutherland bleibt
undatiert. Nach Saison-Ende kehrte Gedda zurück nach Schweden, wo man ihm eine
der höchsten Auszeichnungen der schwedischen Musikakademie verlieh, den Orden Litterisetartibus – Leben und Kunst! Zu den vorangegangenen Preisträgern
gehörte auch Jussi Björling.
Eine der
schönsten Operettenaufnahmen mit Gedda wurde vom 19. Juli bis zum 7. August in
München produziert: Lehars schwermütiger Zarewitsch, der ganz dem
introvertierten Naturell des Halbrussen Gedda entsprach. Neben Rita Streich als
Sonja – der Besten, die man auf der Schallplatte finden kann - wirkte auch der bekannte Schauspieler Hans Söhnker
als Großfürst mit. Harry Friedauer und Ursula Reichard als Iwan und Mascha
gestalteten treffsicher das obligatorische Buffo-Paar. Das Symphonie-Orchester
Graunke wurde unter Einsatz authentischer Balalaika-Klänge von Willy Mattes geleitet.
Überaus prominent besetzt war auch die anschließende Aufnahme von Lehárs
Graf von Luxemburg. Wegen der anfänglichen Unabkömmlichkeit von Lucia Popp,
die Gedda zur Partnerin wünschte, wurden die Sitzungen verschoben. Geddas René
hat seine stärksten Momente in den gemeinsamen Duetten. Er haucht mit
berückendem Schmelz in der Stimme >Bistdu´s, lachendesGlück?< In den Nebenrollen
garantieren Renate Holm und der von der EMI unterforderte Willi Brokmeier die
zu erwartende Qualität. Kurt Böhme singt gar den Salonlöwen Basil!
Unter den
unzähligen Liederplatten, die der Tenor veröffentlichte, sei hier nur die gegen
Ende September entstandenen SkandinawischenLieder erwähnt, bei
denen ihn Jan Eyron am Piano begleitete.
Die gewichtigste
Einspielung des Jahres 1968 war ohne Zweifel sein Werther von Jules
Massenet nach der Vorlage von Goethe. Nach seinem ersten konzertanten Auftritt
drei Jahre zuvor, folgte nun die insbesondere von den Franzosen lang erwartete
Studio-Einspielung. Die Lotte war Victoria de los Angeles, die Sophie ging an
die französische Koloratur-Soubrette Mady Mesplé. Das Orchester d´ORTF Paris
dirigierte Georges Prétre.
Werther
zählt zu den schwierigsten Tenorrollen des französischen Fachs. Keine hybriden
Höhensprünge oder kräftezehrenden Tonattacken prägen ihn, vielmehr ist es eine
gänzlich von intensiven Gefühlen gezeichnete Unschuldsrolle. Schon Guillaume
Ibos, Massenets erster Werther 1892, kritisierte: „Zumeist wird zu viel Lärm
gemacht, fehlt es an Empfindung und an der Vielfalt der Nuancen. Es gibt zu
wenig Musik!“ Um den Verdienst Geddas an dieser Figur zu begreifen, sollte man
sich zunächst einmal Giuseppe di Stefano, Placido Domingo, José Carreras oder
gar Franco Corelli (Mitschnitt 1971) anhören. Wie Kesting schreibt: „Die Balance
von Musik und Wort trifft Gedda besser und genauer als alle seine Confrères. Er
hat keine Konkurrenz – was für ihn und noch mehr gegen seine
Rivalen spricht.“ Seine Klage >Pourquoimeréveiller<
ist in Musik gefasster Schmerz geworden. Gedda sang den Werther nach
eigenen Worten noch mit 57 Jahren: „Er ist ein Mann von 18 Jahren, und ich war
etwas überreif.“ Gleichzeitig aber charakterisierte er: „Man soll pianissimo
singen und dennoch Gefühle auf eine ungeheuer intensive Art ausdrücken. Dafür
braucht man sowohl Technik wie Erfahrung, sogar Lebenserfahrung!“
Den Jahreswechsel
1968/69 verbrachte Gedda diesmal nicht in New York. Bereits im Januar trat er
in Berlin mit Hilde Güden in Rigoletto auf, am 11. sang er mit Marilyn
Horne in Rom erneut La damnation de Faust (Prétre). Die Aufführung wurde
von der RAI übertragen. Am 1. Februar stand er wieder in Lucia di Lammermoor
auf der Bühne der Met. Noch im selben Monat zeichnete er in München mit
Brigitte Fassbaender wieder einige Operettenszenen auf. Das Duett >Geh´nwirinsChambréseparé< aus Heubergers
Opernball ist auf zahlreichen EMI-Veröffentlichungen zu finden.
Die
Aufzeichnungen zu der ARD-Musiksendung GeschichtenausdemTheateranderWien fanden vom 14. - 18. März
statt. Gedda erschien neben Rudolf Schock, Erika Köth, Brigitte Faßbender und
Margrit Schramm. Nähere Angaben sind nicht mehr bekannt.
Am 2. April sang
er für die EMI Lieder von Peter Tschaikowsky, und vom 12. – 15. April 1969
wurde Geddas vielleicht beste Einzelplatte mit der Belgrader Philharmonie unter
Gika Zdravkovitch in München aufgenommen: BerühmterussischeArien.
Die Programmfolge wurde von dem Sänger persönlich ausgewählt. Zu den
Höhepunkten der Schallplatte zählt sicherlich die Jahrhundertaufnahme der
Sobinin-Arie aus Glinkas Schisn na Zarja (DasLebenfürdenZaren) mit ihren sechs hohen C´s und einem des, von
der Andreevsky in seiner Geschichte der russischen Musik einst vermerkte, daß
diese Bravourszene immer wieder ge-strichen werden mußte, weil kaum ein Sänger
den Anforderungen gewachsen war. Vergleicht man die Version von 1969 mit Geddas
erster Aufnahme vom Juni 1957, dann erkennt man deutlich den Zuwachs
stimmlichen Potentials. Kesting schreibt dazu: „Wäre Glinkas >Brüder,
imSturm< an dem Tage aufgenommen worden wie Meyerbeers Sicilienne
aus Robert le diable (Robert der Teufel) durch Leon Escalais – die
Aufnahme rechnete zu den berühmten Sammlerstücken.“ In den 1960er Jahren war
die russische Oper dem Klassik-Freund nicht sonderlich vertraut. Die
bekanntesten Werke wurden eingedeutscht, so auch Wunderlichs Onjegin. Es
ist Geddas Verdienst, für eine Wiederbelebung dieses Repertoires gesorgt zu
haben.
Die
Zusammenarbeit mit Georges Prétre setzte sich bei einer römischen Aufführung
von Berlioz Les Troyens (30. Mai), wieder mit Horne und Verrett, fort.
Er stand auch am Pult bei der Aufnahme zu La damnation de Faust mit
Gabriel Bacquier und Janet Baker kurz darauf. In der Zeit vom 29.8. – 2.9.
wurden in Stockholm wieder mit Jan Eyron am Piano LiebesliedervonBeethoven für die EMI gesungen. Zwei weitere Daten sind spekulativ: Am
26. November in San Francisco der
einzige Bühnenauftritt als Fra Diavolo von Auber, und eine weitere
Vorstellung mit Les Troyens in Rom, angeblich am 11. Dezember 1969.
Keine Spekulation
ist die Aufnahme von Johann Strauß´ Der Zigeunerbaron. Die EMI hatte
große Namen dafür aufgefahren: Gedda war in seiner zweiten Einspielung nach
1954 wieder Sandor Barinkay, Grace Bumbry die Saffi, Rita Streich die Arsena
und Hermann Prey der Homonay. Den Schweinezüchter Zsupán polterte Kurt Böhme.
Franz Allers leitete das Orchester der Bayerischen Staatsoper. Das
Schallplattenalbum wird vom Verfasser nicht ohne Einwände gehört. Zum ersten
Mal entdeckt man bei Nicolai Gedda so etwas wie tenorale Selbstgefälligkeit: Eine
Unart, die insbesondere in vielen Spätaufnahmen zu finden ist. Bei seinem
Auftrittslied >AlsflotterGeist< verlässt er
oftmals die Linie und vergißt sich im Rausch der Melodie. Die eingestreuten
französischen Textzeilen machen zudem aus dem Stück eine artistische
Zirkusnummer! Nett anzusehen sind aber die vielen Produktionsphotos, die im
Begleitheft der Album-Erstauflage abgedruckt sind. Eine weitere Entgleisung
gibt es auf dem Album Ein Walzertraum, das im Frühjahr 1970 mit
Rothenberger, Moser und Fassbaender unter Willy Mattes in München
entstand. Zum reinen Selbstzweck
mischten die Tontechniker Geddas Stimme beim Lied >Leise, ganzleise< zum Duett mit sich selbst. Im Frühling 1970 fand auch eine
Begegnung mit Robert Stolz statt. Medienwirksame Photos von diesem letzten, nun
90jährigen Meister der Wiener Operette, gemeinsam mit Gedda und Rothenberger,
wurden veröffentlicht. Schon bald konnte man die in München produzierte LP NicolaiGeddasingtRobertStolz in den Geschäften finden.
Die Duette mit der Rothenberger veröffentlichte man später unter dem Titel ZweiHerzenimDreivierteltakt und in anderen Doppelalben.
Geddas Vortrag bekannter Tenorschlager wie das von Kiepura berühmt gemachte
>Obblond, obbraun< oder die wunderbar
akzentuierten Stücke >InWienhab´icheinmaleinMädelgeliebt< und >Arrivederci, bellaItalia< zeigen den Tenor wieder von seiner besten Seite. Das
erstgenannte Lied (stilecht mit Schramml-Untermalung) würzt er mit einem
raffiniert-melancholischen Unterton, der konträr zu den Worten steht, das
zweite gerät zur amüsanten Selbstdarstellung eines reisenden Casanovas. Er
steht hier auf einer Höhe mit Fritz Wunderlich, dem Meister des populären
Tenorliedes. Leider wird auch Robert Stolz in der Autobiographie Geddas nicht
erwähnt!
Als Set Svanholm 1963 schwer erkrankte,
übernahm Göran Gentele die Leitung der Oper von Stockholm. Er war an diesem
Haus groß geworden, und hatte bereits als Regisseur unter drei Direktoren
gedient. Im März 1970 konnte er Gedda für einige Gastspiele als Gustav III. in
Verdis Un ballo in maschera gewinnen. Mit Genteles Konzeption, den
barocken Monarchen als Homosexuellen darzustellen, konnte sich der Sänger aber
nicht anfreunden. Das Make-up
war betont feminin. Gedda informierte sich über den historischen Gustav
III, und entdeckte interessante Dinge. Der seichte Gang des Königs war Folge
einer Lahmheit, und hatte nichts mit weibischen, homosexuellen Gebärden zu tun.
Gedda imitierte sogar Gesten des Königs, die er auf Gemälden gesehen hatte. Der
historische Gustav III. (1746-1792) war ein Neffe FriedrichdesGroßen.
Er war der Begründer der absolutistischen Herrschaft, der Reformator des
Herrwesens. Er setzte eine neue Verfassung gegen den Hochadel durch, und wurde
dadurch bei einem Maskenball das Opfer des abgesetzten Offiziers Anckarström,
den Verdi mit Hinblick auf die Zensur in seiner revidierten Fassung Renato
nannte. Aus der politischen Intrige wurde bei Verdi also ein Mord aus
Eifersucht – wie so oft! Da der König am Hof im Schweden und Frankreich nur von
Frauen umgeben aufwuchs, nahm er nach der Ansicht Geddas feminine Züge an.
Tatsächlich bleibt auch die Liebe des Monarchen zu der Gattin Anckarströms in
der Oper rein platonisch. Dazu Nicolai Gedda: „Das Liebesduett darf nicht in zu
romantischer Stimmung schwelgen. Hier hatte Gentele den Einfall, die Figur zu
theatralisieren, sie zu übertreiben. Er zauberte damit die Liebe fort!“ Wer
allerdings Pavarotti oder Domingo in dieser Szene erlebt hat, freut sich, daß
es auch noch einige leidenschaftliche Männer gibt...
In München entstanden im März 1970 wieder Liedaufnahmen,
und die Schallplatte zu Oscar Strauß´ Ein Walzertraum. Zu dieser Zeit
bekam der Sänger wegen gewinnbringender Verdienste den sogenannten Ehrenring
der EMI durch Direktor Peter de Jongh überreicht. Auf den Pressephotos lächeld
auch wieder Frau Gedda in die Kamera. Der Herr Tenor sieht mit seinen
ungekämmten Haaren allerdings aus, als habe er die Nacht durchzecht. Nun
zeichneten sich graue Schläfen bei dem 45jährigen ab. Dadurch wurde sein weiches
Äußeres männlicher und charismatisch.
Die konzertanten
Aufführungen von Giacomo Meyerbeers Grand Opéra Le Prophète (Der Prophet
am 8. und 10. Juli in Turin unter Henry Lewis mit Marilyn Horne, fügte man
später zu einem Live-Album zusammen. Meyerbeers Werk liegt insgesamt in weniger
als einem halben Dutzend Aufnahmen vor. Die Einspielung zu Massenets Manon
fand unmittelbar danach vom 15. – 29. Juli 1970 in London statt. Julius Rudel
dirigierte das New Philharmonia Orchestra. Die Manon wurde von Beverly Sills
gesungen. Der Verfasser schätzt diese Schallplatte sehr, auch wenn Kesting
Sills als „altjüngferlich“ bezeichnet. Er lobt aber Geddas „subtilen Vortrag
der Traumerzählung. Nicht der Sänger singt, es singt aus ihm mit einem ganz
behutsamen, innerlichen Klang. Und selbst wenn er in dieser Partie die
dramatischen Höhepunkte zu emphatisch heraushebt, ist er seinen Kollegen
beträchtlich überlegen“. Eine persönliche Anmerkung sei gestattet: Ich habe
unzählige Version des großen Duettes im 1. Akt gehört. Nicht ein einziger
Vortrag hat die ätherische Leichtigkeit, mit der Gedda die Phrase >J´ai
marqué l´heure du départ< beginnt. Die Traumerzählung >En fermant
les yeux< liegt gänzlich in der Mittellage auf pp. Hier war und blieb
Nicolai Gedda mit seiner exquisiten Mezza-Voce der unerreichte Meister seines
Fachs. An der Manon von Sills gefällt mir die verspielte Koketterie und der
laszive Unterton. Das Album wurde in Amerika ein Bestseller und die
erfolgreichste Operneinspielung aller Zeiten. Beverly Sills hatte zuvor als
Manon an der NewYorkCityOpera für Schlagzeilen
gesorgt.
Über die
Aufführungen von La Traviata mit Montserrat Caballé unter Bruno
Bartoletti in Chicago hat sich Gedda sowohl in seinem Buch wie auch in einem
Interview mit dem Klassik-Magazin RONDO geäußert: „Ganz schrecklich, eine
Erfahrung, die ich nie vergessen werde. In der Todesszene im letzten Akt
versuchte ich, mich auf das Bett zu setzen, aber sie nahm die ganze Fläche ein.
Was kann man da machen? Mir blieb nur ein kleiner Rand, und ich merkte, wie ich
drohte hinzufallen. Am schlimmsten war, daß sich jemand hinter den Kulissen
totlachte. Montserrat merkte gar nichts! Sie ist eine wunderbare Künstlerin,
aber sie mag – glaube ich – gerne Kuchen...“. Wie die Spielpläne der Lyric
Opera zeigen, hat Gedda in Chicago auch in anderer Hinsicht wenig Halt
gefunden: Über 7 Traviata-Aufführungen im Oktober und November 1970 kam er dort
nie hinaus. Die meisten Auftritte gingen auf das Konto von Alfredo Kraus, Carlo
Bergonzi und – vor allem – Richard Tucker, der damalige Liebling der
Amerikaner.