Für Gedda hat es nie stimmliche
Krisen gegeben, die seine Karriere gefährdet hätten. Zum einen mag das an einer
gesunden Körperverfassung liegen, zum anderen war der Sänger natürlich immer
darauf bedacht, das richtige Repertoire für seine lyrische Stimme zu wählen. Er
lehnte sogar eine Vielzahl von Puccini-Opern ab, sang die berühmten Arien nur
auf der Schallplatte. Die Rollen Verdis aus den Spätopern waren für ihn ebenso
undenkbar wie die Helden Wagners, mit dessen Musik er ohnedies wenig anfangen
konnte. Dennoch entschloß er sich aus Liebe zu seinem Heimatpublikum, einen
Vertrag für insgesamt 3 Aufführungen von Lohengrin im Januar und Februar
1966 an der Königlichen Oper Stockholm zu unterzeichnen. Der damalige Leiter des
Hauses, Göran Gentele, liebte zugkräftige Werke und pflegte seine Garanten
Verdi, Puccini, Mozart und natürlich Wagner. Der Dirigent war Silvio Varviso,
mit dem Gedda schon zuvor zusammen gearbeitet hatte, und dem er vertraute. Es
ist schier unglaublich, daß der Sänger diese gewichtige Episode in seinem
Erinnerungsbuch mit keinem Wort erwähnt!
Der Lohengrin ist eine Partie, die dem italienischen Belcanto
kompositorisch wie auch zeit-geschichtlich sehr nahe steht. Eigentlich ist der
Gralsritter etwas für einen lyrischen Tenor, und Gedda ging das Wagnis ein, die
Rolle mit seinem alten Lehrer Carl Martin Öhmann zu studieren. Nun bewegt sich
aber die ganze Partie exzessiv in der Mittellage, geht nie höher als zum A.
Aber die Stimme muß durch ein ganzes Orchester hinweg hörbar bleiben. Wie Gedda
1988 im großen Interview für die Opernwelt erklärte, „muß man mehr Kraft geben, und die Muskeln
mehr belasten. Das führt zu Verspannungen der Stimmbänder.“ Die erste und die
zweite Vorstellung funktionierten gut, aber kurz vor der dritten Aufführung
sollte Gedda in Wien mit Josef Krips Mozarts Entführung aus dem Serail
aufnehmen, und hatte gleich bei der ersten Arie (>Konstanze, dichzusehen<) Schwierigkeiten, zu seiner üblichen Leichtigkeit
zurückzufinden. Das war immer noch im Februar 1966. Krips mußte die berühmte Baumeister-Arie
mit ihren Skalen und Koloraturen streichen! Daß der Tenor dieses gefürchtete
Stück durchaus bewältigen konnte, zeigt die im Oktober 1967 aufgezeichnete
englische Version unter Yehudi Menuhin. Geddas Lohengrin-Auftritt vom 29.
Januar 1966 kann der geneigte Hörer in einem erst 2002 veröffentlichten
Mitschnitt erleben; Elsa ist Aase Nordmo-Lövberg, Telramund wird von Rolf
Jupither und Ortrud von Bobro Ericson gesungen.
Die Ankündigung, Nicolai Gedda werde den Lohengrin singen, wurde
natürlich in Bayreuth mit großem Interesse bedacht, und sofort formulierte man
in euphorischen Worten eine Ein-ladung. Gedda zeigte Interesse, aber mit der
Bedingung, zwischen zwei Vorstellungen mindestens drei Ruhetage zu bekommen.
Man gab dieses Versprechen, vergaß aber diesen Punkt im Vertrag. Stattdessen
gewährte man einmal sogar nur einen einzigen Tag Pause zwischen zwei
Aufführungen. Trotz Geddas Einwand gegenüber der Festspielleitung, es gehe in
diesem Fall für eine lyrische Stimme um sehr viel, konnte man keinen anderen
Zeitplan vorschlagen. Der Sänger teilte daraufhin mit, er sei nach langer und
ernsthafter Überlegung zu dem Entschluß gekommen, das Angebot nicht anzunehmen.
Daraufhin wurde der Name Nicolai
Gedda von allen Plakaten zähneknirschend wieder entfernt. Gedda im
Interview 1999: „Die Wagner-Brüder waren wohl böse, denn ich habe nie wieder
ein Angebot aus Bayreuth bekommen.“ Weil nun aber Richard Wagner unvermeidbar
zum Gut deutscher Klassik gehört, nahm der Sänger die zwei Erzählungen des
Lohengrin dann im Juni 1967 für seine Einzelplatte, BerühmtedeutscheArien, unter Heinrich Bender dennoch auf. 1975 hätte ihn die EMI gerne
als Rienzi in der ersten kompletten Studiogesamtaufnahme besetzt, aber René
Kollo bekam den Vertrag, denn Gedda sagte „Wagner? Nein, danke!“
Nach dem Lohengrin-Debakel ging Gedda zunächst auf eine ausgedehnte
Konzerttour durch sein geliebtes Deutschland. Die Berliner erlebten ihn im
Rahmen eines Gastspiels als Herzog in Rigoletto. Bei dieser Gelegenheit
wurden auch zahlreiche Photos des 41jährigen Tenors und Frauenliebling gemacht:
Als Herzog im Renaissance-Look mit verwegenem Spitzbart gibt er tatsächlich
eine überzeugende Figur ab; ein Photo der Kostümierung wurde später dann zum
Titelbild des Albums SeinenFreundengewidmet verwendet.
Berlin wurde in diesem Jahr oftmals zu seiner Wirkungsstätte. Im September
entstand die Gesamtaufnahme der romantischen Lortzing-Oper Undine unter
Robert Heger mit Anneliese Rothenberger, Ruth Magret Pütz und Hermanny Prey. Im
gleichen Monat reichte die Zeit noch für einen deutschsprachigen Querschnitt
der Madame Butterfly. Die Rothenberger gab die Titelpartie, Hermann Prey
war der Sharpless und die wie immer hervorragende Christa Ludwig sang die
Dienerin Suzuki. Es dirigierte
Giuseppe Patané. Die Aufnahme war praktisch ein Geschenk an sein
deutsches Publikum, denn damals hatte Gedda den Pinkerton schon beiseite
gelegt. Seine einzigen Bühnenauftritte in dieser Partie hatten 1961 an der Metropolitan
stattgefunden. Die Aufnahme ist passabel geworden, die Arien und das Duett
überzeugen; nicht zuletzt, weil sich die Rothenberger zu einem
lyrisch-dramatischen Sopran gewandelt hatte. Ihre Interpretation der Butterfly
in einer TV-Produktion war vom Publikum begeistert aufgenommen worden. Der
Pinkerton von Jerry J. Jennings war allerdings absolut unzureichend. Warum nur
hat man hier nicht den Schweden eingesetzt?
Die deutschen Klassikfreunde verehrten Gedda sehr, wie der Umsatz seiner
mittlerweile mehr als 40 Aufnahmen deutlich zeigte. Im FonoForum
erschien ein großer Artikel über ihn, und sogar das deutsche Fernsehen besetzte
ihn als Tenor in einem kuriosen TV-Spiel. In einer Dekoration des k.u.k.
Österreich sang er >Seimirgegrüßt, holdesVenezia<.
Er wurde als ein „weitgereister Sänger“ angekündigt und durfte sogar wenige
belanglose Worte sprechen. Ein weiterer Operngast dieser schwarz-weißen
Produktion war Lucia Popp.
In seiner Heimat ernannte man ihn zum Mitglied der schwedischen
Musikakademie. Mit so viel Lob und Auszeichnung reiste er im Frühsommer nach
London, und nahm vom 1. – 27. Juni gemeinsam mit Mirella Freni seine erste
Duettplatte mit Szenen aus großen Opern des Belcanto auf. Auch die Arie des
Edgardo >Tombedegliavimiei< aus Lucia di
Lammermoor wurde bei dieser Gelegenheit eingespielt. In Italien entstand im
Anschluss daran die heute leider fast vergessene Gesamtaufnahme von L´elisir
d´amore, wieder mit der Freni. Es
dirigierte Francesco-Molinari Pradelli. Als Gedda seine große Arie >Unafurtivalagrima< beendet hatte, umarmte ihn sein Kollege Mario
Sereni mit den Worten: “Nicolai – primo Tenore!” Ein Mitglied des Orchesters
soll ausgerufen haben, so schön habe nach Gigli niemand mehr diese Arie
gesungen!
Nach der erwähnten MadameButterfly in Berlin erreichte
Gedda dann die selbe Nachricht, die unzählige Stimmenliebhaber in Europa
schockierte: Fritz Wunderlich, erst 36 Jahre alt, war nach einem Treppensturz
am 17. September an den Folgen seiner schweren Verletzungen gestorben. Damit
verlor Deutschland seinen größten Tenor, und – so makaber es klingt – Gedda
schloß nun eine Lücke auf dem Gebiet der Schallplattenoperetten, die sonst
vielleicht Wunderlich ausgefüllt hätte. Immerhin hatte dieser schon mit
Anneliese Rothenberger einen hervorragenden Querschnitt von La Bohème
aufgenommen. Gedda 1994 zu Opernglas:Den Fritz Wunderlich liebte
ich sehr. Sein tragischer Tod hat mich damals tief gerührt. Er hätte gerade
nach Amerika gehen sollen...
Im Dezember stand Gedda in London wieder als Benvenuto Cellini
unter John Pritchard auf der Bühne. Er nahm auch an der Gala in New York zur
Verabschiedung der alten Met teil. Das etablierte Unternehmen zog in das
neue Lincoln-Center. Gedda dazu: „Als der Vorhang für immer in diesem
dreiundachtzigjährigen Opernhaus fiel, war meine Stimme als die letzte zu
hören.“