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Nicolai Gedda - Chronologie einer Opernkarriere von Michael Stember

 4. Begegnung mit Maria Callas (1964-1965) 6. Operette nach Wunsch (1967-1970) 


5. Wagner? - Nein, danke! (1966)

Für Gedda hat es nie stimmliche Krisen gegeben, die seine Karriere gefährdet hätten. Zum einen mag das an einer gesunden Körperverfassung liegen, zum anderen war der Sänger natürlich immer darauf bedacht, das richtige Repertoire für seine lyrische Stimme zu wählen. Er lehnte sogar eine Vielzahl von Puccini-Opern ab, sang die berühmten Arien nur auf der Schallplatte. Die Rollen Verdis aus den Spätopern waren für ihn ebenso undenkbar wie die Helden Wagners, mit dessen Musik er ohnedies wenig anfangen konnte. Dennoch entschloß er sich aus Liebe zu seinem Heimatpublikum, einen Vertrag für insgesamt 3 Aufführungen von Lohengrin im Januar und Februar 1966 an der Königlichen Oper Stockholm zu unterzeichnen. Der damalige Leiter des Hauses, Göran Gentele, liebte zugkräftige Werke und pflegte seine Garanten Verdi, Puccini, Mozart und natürlich Wagner. Der Dirigent war Silvio Varviso, mit dem Gedda schon zuvor zusammen gearbeitet hatte, und dem er vertraute. Es ist schier unglaublich, daß der Sänger diese gewichtige Episode in seinem Erinnerungsbuch mit keinem Wort erwähnt!

Der Lohengrin ist eine Partie, die dem italienischen Belcanto kompositorisch wie auch zeit-geschichtlich sehr nahe steht. Eigentlich ist der Gralsritter etwas für einen lyrischen Tenor, und Gedda ging das Wagnis ein, die Rolle mit seinem alten Lehrer Carl Martin Öhmann zu studieren. Nun bewegt sich aber die ganze Partie exzessiv in der Mittellage, geht nie höher als zum A. Aber die Stimme muß durch ein ganzes Orchester hinweg hörbar bleiben. Wie Gedda 1988 im großen Interview für die Opernwelt erklärte,  „muß man mehr Kraft geben, und die Muskeln mehr belasten. Das führt zu Verspannungen der Stimmbänder.“ Die erste und die zweite Vorstellung funktionierten gut, aber kurz vor der dritten Aufführung sollte Gedda in Wien mit Josef Krips Mozarts Entführung aus dem Serail aufnehmen, und hatte gleich bei der ersten Arie (>Konstanze, dich zu sehen<) Schwierigkeiten, zu seiner üblichen Leichtigkeit zurückzufinden. Das war immer noch im Februar 1966. Krips mußte die berühmte Baumeister-Arie mit ihren Skalen und Koloraturen streichen! Daß der Tenor dieses gefürchtete Stück durchaus bewältigen konnte, zeigt die im Oktober 1967 aufgezeichnete englische Version unter Yehudi Menuhin. Geddas Lohengrin-Auftritt vom 29. Januar 1966 kann der geneigte Hörer in einem erst 2002 veröffentlichten Mitschnitt erleben; Elsa ist Aase Nordmo-Lövberg, Telramund wird von Rolf Jupither und Ortrud von Bobro Ericson gesungen.

Die Ankündigung, Nicolai Gedda werde den Lohengrin singen, wurde natürlich in Bayreuth mit großem Interesse bedacht, und sofort formulierte man in euphorischen Worten eine Ein-ladung. Gedda zeigte Interesse, aber mit der Bedingung, zwischen zwei Vorstellungen mindestens drei Ruhetage zu bekommen. Man gab dieses Versprechen, vergaß aber diesen Punkt im Vertrag. Stattdessen gewährte man einmal sogar nur einen einzigen Tag Pause zwischen zwei Aufführungen. Trotz Geddas Einwand gegenüber der Festspielleitung, es gehe in diesem Fall für eine lyrische Stimme um sehr viel, konnte man keinen anderen Zeitplan vorschlagen. Der Sänger teilte daraufhin mit, er sei nach langer und ernsthafter Überlegung zu dem Entschluß gekommen, das Angebot nicht anzunehmen. Daraufhin wurde der Name Nicolai Gedda von allen Plakaten zähneknirschend wieder entfernt. Gedda im Interview 1999: „Die Wagner-Brüder waren wohl böse, denn ich habe nie wieder ein Angebot aus Bayreuth bekommen.“ Weil nun aber Richard Wagner unvermeidbar zum Gut deutscher Klassik gehört, nahm der Sänger die zwei Erzählungen des Lohengrin dann im Juni 1967 für seine Einzelplatte, Berühmte deutsche Arien, unter Heinrich Bender dennoch auf. 1975 hätte ihn die EMI gerne als Rienzi in der ersten kompletten Studiogesamtaufnahme besetzt, aber René Kollo bekam den Vertrag, denn Gedda sagte „Wagner? Nein, danke!“

Nach dem Lohengrin-Debakel ging Gedda zunächst auf eine ausgedehnte Konzerttour durch sein geliebtes Deutschland. Die Berliner erlebten ihn im Rahmen eines Gastspiels als Herzog in Rigoletto. Bei dieser Gelegenheit wurden auch zahlreiche Photos des 41jährigen Tenors und Frauenliebling gemacht: Als Herzog im Renaissance-Look mit verwegenem Spitzbart gibt er tatsächlich eine überzeugende Figur ab; ein Photo der Kostümierung wurde später dann zum Titelbild des Albums Seinen Freunden gewidmet verwendet. Berlin wurde in diesem Jahr oftmals zu seiner Wirkungsstätte. Im September entstand die Gesamtaufnahme der romantischen Lortzing-Oper Undine unter Robert Heger mit Anneliese Rothenberger, Ruth Magret Pütz und Hermanny Prey. Im gleichen Monat reichte die Zeit noch für einen deutschsprachigen Querschnitt der Madame Butterfly. Die Rothenberger gab die Titelpartie, Hermann Prey war der Sharpless und die wie immer hervorragende Christa Ludwig sang die Dienerin Suzuki. Es dirigierte Giuseppe Patané. Die Aufnahme war praktisch ein Geschenk an sein deutsches Publikum, denn damals hatte Gedda den Pinkerton schon beiseite gelegt. Seine einzigen Bühnenauftritte in dieser Partie hatten 1961 an der Metropolitan stattgefunden. Die Aufnahme ist passabel geworden, die Arien und das Duett überzeugen; nicht zuletzt, weil sich die Rothenberger zu einem lyrisch-dramatischen Sopran gewandelt hatte. Ihre Interpretation der Butterfly in einer TV-Produktion war vom Publikum begeistert aufgenommen worden. Der Pinkerton von Jerry J. Jennings war allerdings absolut unzureichend. Warum nur hat man hier nicht den Schweden eingesetzt?

Die deutschen Klassikfreunde verehrten Gedda sehr, wie der Umsatz seiner mittlerweile mehr als 40 Aufnahmen deutlich zeigte. Im Fono Forum erschien ein großer Artikel über ihn, und sogar das deutsche Fernsehen besetzte ihn als Tenor in einem kuriosen TV-Spiel. In einer Dekoration des k.u.k. Österreich sang er >Sei mir gegrüßt, holdes Venezia<. Er wurde als ein „weitgereister Sänger“ angekündigt und durfte sogar wenige belanglose Worte sprechen. Ein weiterer Operngast dieser schwarz-weißen Produktion war Lucia Popp.

In seiner Heimat ernannte man ihn zum Mitglied der schwedischen Musikakademie. Mit so viel Lob und Auszeichnung reiste er im Frühsommer nach London, und nahm vom 1. – 27. Juni gemeinsam mit Mirella Freni seine erste Duettplatte mit Szenen aus großen Opern des Belcanto auf. Auch die Arie des Edgardo >Tombe degli avi miei< aus Lucia di Lammermoor wurde bei dieser Gelegenheit eingespielt. In Italien entstand im Anschluss daran die heute leider fast vergessene Gesamtaufnahme von L´elisir d´amore, wieder mit der Freni. Es dirigierte Francesco-Molinari Pradelli. Als Gedda seine große Arie >Una furtiva lagrima< beendet hatte, umarmte ihn sein Kollege Mario Sereni mit den Worten: “Nicolai – primo Tenore!” Ein Mitglied des Orchesters soll ausgerufen haben, so schön habe nach Gigli niemand mehr diese Arie gesungen!

Nach der erwähnten Madame Butterfly in Berlin erreichte Gedda dann die selbe Nachricht, die unzählige Stimmenliebhaber in Europa schockierte: Fritz Wunderlich, erst 36 Jahre alt, war nach einem Treppensturz am 17. September an den Folgen seiner schweren Verletzungen gestorben. Damit verlor Deutschland seinen größten Tenor, und – so makaber es klingt – Gedda schloß nun eine Lücke auf dem Gebiet der Schallplattenoperetten, die sonst vielleicht Wunderlich ausgefüllt hätte. Immerhin hatte dieser schon mit Anneliese Rothenberger einen hervorragenden Querschnitt von La Bohème aufgenommen. Gedda 1994 zu Opernglas:

Den Fritz Wunderlich liebte ich sehr. Sein tragischer Tod hat mich damals tief gerührt. Er hätte gerade nach Amerika gehen sollen...

Im Dezember stand Gedda in London wieder als Benvenuto Cellini unter John Pritchard auf der Bühne. Er nahm auch an der Gala in New York zur Verabschiedung der alten Met teil. Das etablierte Unternehmen zog in das neue Lincoln-Center. Gedda dazu: „Als der Vorhang für immer in diesem dreiundachtzigjährigen Opernhaus fiel, war meine Stimme als die letzte zu hören.“


 4. Begegnung mit Maria Callas (1964-1965) 6. Operette nach Wunsch (1967-1970)