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Die Stimme der Inkas: Yma Sumac


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Ein musikalisches Wunderwesen ist sie noch immer, stimmgewaltiger als jede Opernsängerin; charismatisch, geheimnisvoll und von blendendem Aussehen. Die Rede ist von Zoila Augusta Emperatriz Chavarri del Castillo, bekannt geworden unter ihrem Künstlernamen Yma Sumac.

Yma Sumac darf man guten Gewissens zu den größten Stimmen des zwanzigsten Jahrhunderts zählen. Nicht allein wegen ihres phänomenalen Stimmumfangs von viereinhalb Oktaven und ihrer Fähigkeit, diese sämtlichen Oktaven in Dreiminutensongs avantgardistisch zum Einsatz zu bringen. Sondern auch weil sie in den Fünfzigerjahren - weit vor der Erfindung der Popkultur - in einer Weise mit Sounds und Images experimentierte wie später erst wieder Madonna oder Björk.


Yma Sumac war Hohepriesterin und Großstadtpflanze, Musikethnologin und Partyqueen, ihre Musik eine perfekte Synthese aus eigentlich Unvereinbarem: Kreatürlichkeit und Hochzivilisation, A- und B-Kultur, E- und U-Musik, Folklore und Comic. Eins allerdings waren ihre Platten nie: Weltmusik. Die stimmliche Virtuosität kam bei ihr stets vor folkloristischer Authentizität.

Ihr Werdegang entspricht dem Stoff aus dem Legenden geboren werden, mit ihren Stimmbändern vermag sie Feuerwerke zu entfachen, und ihre Ahnenreihe lässt sich in direkter Linie bis auf den letzten Inkaherrscher Atahualpa zurückverfolgen.

Diese hochadelige Abstammung bestätigte ihr 1946 der peruanische Generalkonsul in den Vereinigten Staaten sogar schriftlich, um endlich den Gerüchten ein Ende zu setzen, die der Sängerin Image-Schwindel vorwarfen, indem sie behaupteten, ihr richtiger Name sei Amy Camus, Hausfrau aus Brooklyn.

Tatsächlich stammt Yma Sumac aus Ichocán, einem Dorf im peruanischen Hochland im Distrikt Cajamarca. Und ihre glamouröse Karriere sollte sie bis nach Hollywood führen, wo sie zeitweise mit ihrer außergewöhnlichen Stimme über viereinhalb Oktaven und einer Handvoll Platten Weltruhm erlangte.

Ihre abenteuerliche Geschichte beginnt, so will es die peruanische Zeitung "La Crónica" wissen, 1939 in ihrem Heimatdorf, wo Yma, gerade mal zwölf Jahre alt, auf einer traditionellen Feier zu Ehren des Sonnengottes ausgewählte Lieder auf Quechua vorträgt und dabei von einem Regierungsbeamten entdeckt wird.

Mit 14 Jahren heiratet sie ihren späteren Manager und Musikarrangeur Moisés Vivanco und reist in den folgenden Jahren mit seiner Compañía Peruana de Arte durch ganz Lateinamerika. Sie nimmt Schallplatten auf, wirkt in Filmen und Radiosendungen mit und wird von der Presse stürmisch als Star im Folkloregenre gefeiert.

Als solcher zieht es sie in den vierziger Jahren nach New York, wo der große Erfolg jedoch zunächst ausbleibt. Zu ungewöhnlich ist ihr Repertoire, die Produzenten jener Zeit wirken befremdet: wer singt schon simple Volkslieder, wenn er es sich leisten kann, die Königin-der-Nacht-Arie als simple Auflockerung für die Stimmbänder zu betrachten?

Yma Sumac muss sich entscheiden zwischen Klassik und ihren lateinamerikanischen Wurzeln. Doch eigentlich bleibt ihr keine Wahl: Ihr exzentrischer Stil stempelt die eigenwillige Lady als Kuriosität ab. Und so tingelt sie viele Jahre lang durchs Land, nimmt kleinere Engagements an und lebt mit ihrer Familie weitestgehend vom Thunfischhandel.

Erst die Entdeckung durch Capitol Records, die sie nach Hollywood einladen, bringt Yma den Durchbruch. Ihre erste Platte, Voice of the Xtabay (1950), schlägt ein wie eine Bombe und wird innerhalb kürzester Zeit zu einem Bestseller.

Ymas enorme stimmliche Bandbreite und der sekundenschnelle Wechsel von lyrischem Koloraturgesang zu gewaltig grollenden Knurr- und Fauchlauten begeistern die Musikwelt und das Publikum.Ymas Selbstdarstellung als Oberpriesterin der Inka und Jungfrau der Sonne treffen den Nerv der Zeit; ihre Person umgibt der Hauch des Mythischen, des Geheimnisvollen, des Exotischen.

Ihr damaliger Erfolg ist nicht zuletzt dadurch zu erklären, dass man in den 50´er Jahren, nach den überstandenen Schrecken des Zweiten Weltkrieges, von der Musik in erster Linie von den Alltagsproblemen abgelenkt werden will, die große Zeit von escapist entertainment bricht an, und Nordamerika zeigt sich dabei generell von den "exotischen" südamerikanischen Ländern und ihrer Musik fasziniert ist. Dazu beigetragen hat sicherlich auch die umfassende Berichterstattung über die Entdeckung des legendären Macchu Picchu in den dreißiger Jahren. Wie gut muss da die "singende Inka-Prinzessin" ins Bild gepasst haben.

Die Zeichen hätten also schlechter stehen können für eine lateinamerikanisch gefärbte Bühnenshow mit einer stimmgewaltigen Sängerin. Zunächst jedoch musste Yma Sumac zu einem Produkt gemacht werden, zu einem Markenartikel für die Bedürfnisse des nordamerikanischen Markts. Der Mann, der diese Aufgabe übernahm, war kein Geringerer als Orchesterchef Les Baxter, Fachmann für Fifties-Exotica. Die ursprünglichen folkloristischen Anklänge ergänzte er um Hollywoodbombast, der auf den nachfolgenden Alben "Legend of the Sun Virgin" (1952) und "Inca Taqui" (1953) wieder etwas abgemildert wurde.

Für die peruanische Künstlerin folgen schnell hintereinander ein Broadway-Musical, ein Hollywoodfilm mit Charlton Heston, in dem sie sich selbst spielt - eine Inka-Prinzessin - (The secret of the Inca, 1952/53) und vier weitere Langspielplatten. Ihre perfekte Unterhaltungsmusik ist vielleicht am deutlichsten auf ihrem meistverkauften und vielleicht besten Album Mambo! von 1955 zu hören, eine Homage an die damals wie heute trendigen lateinamerikanischen Tänze.

Das amerikanische Publikum liebte jedoch vor allem die Breitwandfolklore des Debütalbums. Auch wenn Yma Sumac bis heute beteuert, das Publikum werde sich von ihr, bis sie neunzig ist, immer die ganz hohen Töne wünschen ("the voice of the birds"), dürften vor allem ihre unvermittelten tiefen Belllaute ("the voice of the earthquake") zu ihrer Popularität beigetragen haben.

Die überschwenglichen und kolossalen Bühnenshows boten der Diva den richtigen Rahmen für ihre Stimmakrobatik.

Spielerisch und mühelos trällerte sie liebliche Liedchen, röhrte in bassigen Tiefen mit verrauchter Whiskystimme oder beschwor unter Zischen und Schnalzen mysteriöse Laute aus dem Amazonasdschungel.
Freilich wirken die Plattencover operettenhaft mit Ymas dramatischer Mimik und den aufwendigen Kostümen, und im Gegensatz zu ihren früheren Tourneejahren in Lateinamerika, wo sie authentische Folkloremusik sang, mussten auf ihren erfolgreichen Alben Zugeständnisse an das weiße, US-amerikanische Gehör der Masse gemacht werden. Exotik und Andersartigkeit waren zwar gewünscht, gingen aber über angepasste Varianten wie den zahmen Tarzan Johnny Weissmüller selten genug hinaus.

So waren auch Ymas Kompositionen lediglich folkloristisch inspiriert. Ohne die bombastischen Bläserarrangements einer Big Band im Hintergrund und die oft amüsanten Vokal- und Showeffekte der Sängerin wären ihre LPs jedoch niemals zu Verkaufsschlagern avanciert.
Die Aufnahmetechniker in diesen Jahren hatten ihre liebe Not, sobald die Improvisationskünstlerin ihre Stimme wieder einmal unabgesprochen "bis in die Stratossphäre" hinaufjagte.

Ymas Privatleben wurde seit ihrer spektakulären Scheidung und dem ein oder anderen Skandal von der Boulevardpresse ebenfalls kräftig ausgeschlachtet, dazu kam ein ernstes Problem mit dem Finanzamt: Ehemann Vivanco hatte jahrelang Steuern hinterzogen. In den puritanischen USA der Fünfziger wurde ihr das mehr als übel genommen. Ihr Ruhm litt beträchtlich und der Druck der enormen Steuernachzahlung sollte ihrem Leben eine entscheidende Wendung geben. Ymas Ex- und Wiederehemann organisierte eine mehrjährige, sehr erfolgreiche Welttournee durch die UdSSR, Europa, Asien und Lateinamerika. Nach hunderten von Konzerten konnten sie zwar die Schulden begleichen, doch ohne Werbung, Fernsehauftritte und neue Schallplatten tendierte der Bekanntheitsgrad der Sängerin bei ihrer Rückkehr in die USA gegen Null. Zudem hatte sich der Musikgeschmack geändert. Bonbonfarbene Petticoats prägten das Straßenbild und exotische Populärmusik wirkte, naja, eben ein wenig lächerlich.

1965 kam es zur endgültigen Scheidung. Vivanco setzte sich nach Spanien ab und Yma, fast vergessen, blieb in den USA zurück.

Neue Plattenaufnahmen kamen nur schwerlich zustande. Die Produzenten erinnerten sich sehr genau an Sumacs ausgeprägten Eigensinn und diefolkloristische Seltsamkeiten wie auf ihrem Album Legend of the Jivaro. Viele winkten ab.
Erst ab Mitte der Siebziger ging es für die Diva wieder bergauf. Die erste Revival-Welle stand an und Yma schaffte es einmal mehr, eine neue Generation von Zuhörern mit einem einzigen Konzert in ekstatische, hörige Fans zu verwandeln. Die meisten waren zu Zeiten ihrer ersten Erfolge noch nicht einmal geboren.

Diese permanenten Schwankungen ihrer Popularität sind so etwas wie ein Markenzeichen der heute über Siebzigjährigen geworden. Doch so berühmt wie in ihren Anfangsjahren ist sie nie wieder geworden; obwohl ihre Stimme noch immer ein echtes Schmankerl für die Ohren ist. Wie man hört, lebt sieheute in Kalifornien und gibt gelegentlich Konzerte.

1996 wurden ihre alten Alben und einige gute Zusammenstellungen auf CD neu aufgelegt.





DER SPIEGEL, 30. Januar 1952





Sopran bis Bass: Stimmwunder Yma Sumac

Die Schallplattenleute der deutsch-englischen Teldec rechnen sich für ihre zweite, im März in Deutschland erscheinende Aufnahme mit der Indianerin Yma Sumac reelle Bestseller-Chancen aus. Die beiden Schallplattenseiten mit „Najalas Klage“ und „Vögel“ werden wahrscheinlich wieder dasselbe ungläubige Staunen bei den Musiksachbearbeitern der Rundfunksender und beim Publikum hervorrufen wie schon die erste deutsche Sumac-Platte.
Dass die instrumental anmutenden Spitzentöne der Sumac, die in Augenblicksschnelle aus Wolkenkratzerhöhe über ein ungestuftes Glissando in die Kellerregionen des menschlichen Stimmumfangs rutschen, ein- und derselben Singstimme angehören, dass sie überhaupt von einem Kehlkopf produziert wurden, erschien unglaublich.

Die Hollywooder Schallplattenfirma Capitol musste Yma Sumacs wegen sogar einen Prozeß führen. Man warf der Firma böswillige Täuschung der amerikanischen Musikfreunde vor. Capitol, so hieß es, spreche nur aus Reklamegründen von einer einzigen Sängerin. In Wirklichkeit müsse es sich um mindestens drei verschiedene Stimmen handeln: um eine männliche, eine tiefe und eine hohe weibliche Stimme.
Der Capitol-Anwalt brachte Yma Sumac mit in den Gerichtssaal. Nach einem einzigen Riesen-Glissando, einer blitzschnellen Verwandlung vom Bariton zum Koloratursopran, erübrigte sich das Verlesen seiner Verteidigungsschrift. „Yma“, so heißt es in dem Prozessbericht, „begann dunkel brodelnd wie eine Tigerin. Noch nicht eine Minute später war daraus das helle Zwitschern einer Lerche geworden.“

Die singende Indianerin Sumac wirft alle Vorstellungen von der menschlichen Gesangsstimme mit ihren verschiedenen Lagen – der männlichen Tiefe von Baß und Tenor und der weiblichen Höhe von Alt und Sopran – über den Haufen. Sie beherrscht einen Tonumfang von über vier Oktaven: von den tiefen, baritonalen Lagen bis hinauf in die höchsten Sopran-Höhen.

Yma Sumacs Auftreten in New York wurde als das größte musikalische Ereignis in der Geschichte dieser Stadt bezeichnet. Und der Musikkritiker der berühmten antifaschistischen Zeitung „La Prensa“ in Buenos Aires fügte kurz vor Perons Verbot seiner Zeitung hinzu: „... in der Geschichte unserer Zeit.“
Der „Hollywood Reporter“, die „Times“ der Unterhaltungspresse, kommentierte: „Miß Sumacs Stimme ist einzig. Es hat nie dergleichen gegeben und wird höchstwahrscheinlich nie mehr so etwas geben. Sie kann knurren wie eine beutegierige Bulldogge und zwitschern wie eine nachtmahlhungrige Nachtigall. Jede Note, vom Kontra-Alt zum Koloratursporan durch vier volle Oktaven, ist fest, genau und glockenrein.“
Das Unterhaltungsblatt „Variety“ spricht von der „mühelosen Virtuosität der peruanischen Drossel, die als aufregende, roteingehüllte Legendengestalt auftritt und nur tut, was man von ihr erwartet – nämlich singen.“ Einige Zeilen später beschreibt der „Variety“-Mann die Vieroktaven-Sängerin als „Lady mit der Trick-Kehle“.

In Buenos Aires wurde Yma von mehreren Universitätsprofessoren untersucht, die zur Aufklärung des Stimmphänomens über 300 Photos von ihrer Kehlkopfapparatur anfertigten. Es ergab sich, dass Ymas Kehlkopf „überdurchschnittlich groß und in Kanäle aufgeteilt ist“.
Sogar im heimatlichen Khechuadorf hoch in den peruanischen Anden argwöhnte man, dass es in Ymas Stimmapparat nicht mit rechten Dingen zugehe, und der Dorfmedizinmann beschäftigte sich mit der Austreibung der „bösen Jaguar- und Nachtigallengeister“ aus ihrer Kehle. Doch das unheimliche Stimmphänomen widerstand allen Beschwörungsformeln.

Bereits vor Yma Sumac hat es Vieroktavenstimmen gegeben, u. a. die Feuerwerks-Stimme von Erna Sack. doch kein Kenner kann sich erinnern, dass irgendeine andere Stimme Ymas Ausgeglichenheit in allen Tonlagen, ihre stupende Tonreinheit und fließende Übergangstechnik gehabt hat.
Dem amerikanischen Musiktheoretiker Hollace E. Arment von der Auburn University erscheint Ymas Stimme als „ein Guckloch in die Vergangenheit“. Dr. Arment meint, dass vor der Geburt der Mehrstimmigkeit (etwa im 10. Jahrhundert) die menschliche Stimme einen viel größeren Tomumfang aufwies als heute.

Ymas exotische Abkunft macht sie natürlich zur Idealgestalt jedes Broadway-Presseagenten. Sie hat die Phantasie der „Aufbausch-Leute“ so angeregt, dass man sie nacheinander als „Goldene Jungfrau des Sonnengottes“ und „Letzte Inkaprinzessin“ ausgegeben hat. Die Abreise der „Auserwählten Maid“ aus dem heimatlichen Khechuadorf soll 30.000 Indianer zu einem wilden Massenaufstand provoziert haben.
Diesen absurden Legenden folgte schließlich das Gegengerücht, Yma sei von A bis Z von den Reklameagenten erfunden worden. In Wirklichkeit sei sie aus Brooklyn gebürtig, heiße Amy Camus und sei auf exotisch aufgebügelt worden, indem man ihren Namen herumdrehte.

Dabei ist Ymas Vorgeschichte wirklich phantastisch genug. Sie reicht in ein 3600 m hoch gelegenes Indianerdorf in den peruanischen Anden zurück, in dem Yma vor 24 Jahren als Tochter einer Vollblutindianerin und eines Mestizen geboren wurde.
Der peruanische Generalkonsul in New York hat offiziell bestätigt, dass sie in der Tat von mütterlicher Seite aus von dem letzten Inka-Kaiser Atalhualpa abstammt.
Yma, 1927 geboren, war das Nesthäkchen unter sechs Geschwistern. Darauf legt sie heute größten Wert: das jüngste Kind ist nach Inka-Tradition der eigentliche Träger des königlichen Blutes. Deshalb galt Yma Sumac unter den nur noch wenige Häupter zählenden Mitgliedern ihres Stammes schon als heilig, bevor sie zu singen begann. Mit acht Jahren wurde sie auf Stammesbeschluß zur ersten Sängerin im Inka-Tempel von Ichocan ernannt. Wenige Monate später war Yma Sumac für alle heute noch lebenden Inkas ein Begriff. Sie galt als „Xtabay“. Das bedeutet: Die Auserwählte unter den Weibern. In dieser Bedeutung kommt das Wort Xtabay auch in der Inka-Bibel vor.

Schon mit acht Jahren sang Yma religiöse Festlieder vor 25.000 Sonnenanbetern. Mit 13 Jahren wurde sie von einem Regierungsbeamten bei den Feiern des Sonnenfestes entdeckt. Das Unterrichtsministerium in Lima entsandte eine Delegation in das 16 Tagesreisen entfernte Bergdorf, um Yma zum Auftreten in der peruanischen Hauptstadt zu bewegen.
Der junge Komponist Moises Vivanco, der kurz vor Ymas erstem Konzert die aus 46 Indianern bestehende Comania Peruana de Arte gegündet hatte, überredete Yma, seiner Gesellschaft beizutreten. Der Widerstand der Mutter wurde durch eine Molieresche Intrigue umgangen: Yma entwickelte plötzlich unstillbaren Appetit für die in den Limaer Abendschulen verabreichte Bildung. Mutter Sumac fiel es nicht weiter auf, dass Ymas Hausaufgaben ausschließlich aus Gesangsübungen bestanden.

Nach Ymas erfolgreichem Radiodebut in Lima erhielt sie einen Kontrakt von dem argentinischen Sender Belgrano. Ungefähr zur gleichen Zeit, im Sommer 1942, unterzeichnete die damals 14jährige Yma den Ehekontrakt mit Monitor Moises Vivanco, der bis heute noch nicht ausgemacht hat, ob er sich „zuerst in die Stimme oder zuerst in die Person verliebte“.
Südamerika wurde im Sturm erobert. Sie trat in den größten Kasinos von Rio de Janeiro und Buenos Aires auf, sang in mexikanischen Schallplattenstudios und chilenischen Konzerthallen, spielte in einem argentinischen Film. Doch die südamerikanischen Honorare hielten nicht mit der südamerikanischen Kunstbegeisterung Schritt. Wie so viele Künstler vor ihr, widerstand auch Yma nicht der Anziehungskraft des Dollarmagneten USA.

Die USA zeigten sich zunächst gegenüber Yma nicht sehr spendabel. Das aus Rivero bestehende „Inca Taky Trio“, zu dem Moises seine Compania Peruana vor dem USA-Start kondensiert hatte, arbeitet in den ersten vier USA-Jahren (von 1946 bis 1949) nur insgesamt etwa 70 Wochen. Die drei traten als Gesangs- und Tanzeinlage bei Frauenabenden, Geschäftskonventionen, Wohltätigkeitsveranstaltungen auf. Schon bald mussten sie die anfangs bezogene Zimmerflucht im Waldorf Astoria Hotel mit einem Winkelappartement in dem Bohèmeviertel Greenwich vertauschen. Die Dinge entwickelten sich vorübergehend so schlecht, dass Vivanco sich von der Kunst auf den Import von peruanischem Thunfisch verlegte.

Auch nachdem Yma bereits Erfolge bei einem panamerikanischen Konzert in  Washington und einem Volksliedfest in der New Yorker Carnegie Hall gebucht hatte, musste sie einige Male „wiederentdeckt“ werden, bevor sie richtig einschlug. Der Schallplattengewaltige Walter Rivers von Capitol Records hörte sie 1949 in einem Nachtlokal im Ferienort South Fallsburg, dem „St. Moritz des Staates New York“. Er gab ihr einen Kontrakt, obwohl er keine Ahnung hatte, wie er die unverständlichen Inka-Lieder kommerziell auswerten könne. Yma wollte nur in ihrer khechuanischen Muttersprache singen, obwohl sie passabel englisch spricht. Doch beim letzten Auftreten in Los Angeles sang sie erstmalig einen amerikanischen Song.
1950 ließ Schallplattenkönig Rivers Ymas Kontrakt mit Capitol zunächst verfallen, doch auf Zureden eines eifrigen Impresarios gab er schließlich die Erlaubnis, das Schallplatten-Album „Voice of the Xtabay“ aufzunehmen. Das Album blieb zunächst liegen.
Im August 1950 trat Yma auf der Freilichtbühne des riesigen Hollywood-Bowl auf. Nach Ymas brillanter „Hymne an die Sonne“ brachen die 6000 Zuhörer in einen nicht endenwollenden Beifallssturm aus.

Am nächsten Morgen belagerten Filmproduzenten, Fernsehprogrammleute, Theaterdirektoren, Konzertagenten Ymas Hotelzimmer. Capitol waf das „Voice of the Xtrabay“-Album mit dramatischem Deckblattphoto und kurzer Edelbiographie auf den Markt. Durch spontane Mund-zu-Mund-Reklame wurde das Album über Nacht zum Bestseller.
Die Capitol-Leute haben sich heute noch nicht ganz von dem Schock erholt. Sagt Capitol-Vizepräsident Livingston: „Es war die sensationellste Sache, die unsere Gesellschaft jemals herausbrachte, alle Menschen flogen darauf. Dabei ist die Sumac keine etablierte Persönlichkeit, nur wenige Leute haben sie jemals gesehen. Und wir haben keine Reklame gemacht, mit Ausnahme einer 7-cm-Annonce in einer Wochenschrift.“

Seither ist Yma Sumac im New Yorker „Roxy“-Theater in einem Programm mit dem Starkomiker Danny Kaye und in mehreren Fernsehprogrammen aufgetreten. Hollywood überschlug sich mit Yma-Sumac-Filmprojekten, die exotische Inka-Kulisse lockte. Ein Hollywood-Produzent äußerte den Wunsch, sich „selber mit Füßen zu treten“, weil er Yma vor einigen Jahren als „zu unpittoresk“ für eine Indianerrolle ablehnte.

Schon nach Ymas ersten USA-Erfolgen verkündete ein hoher Inka-Priester: Yma Sumac habe das alte Inka-Königtum erneuert. Es lägen ihr mehr Menschen zu Füßen als dem Urvater ihrer Familie vor Hunderten von Jahren zur Zeit seiner größten Macht. Das aber wolle viel heißen, denn die Inkas seien der mächtigste Indianerstamm beider Amerika gewesen. Nur zu ihrer Zeit habe es in Amerika Kultur gegeben.
Trotzdem steht Yma Sumac nicht mehr auf gutem Fuße mit den Inkas. Für die Schallplattenfirma Capitol sang sie heilige Tempellieder auf Schallplatten. Das hatte vor ihr schon einmal der kubanische Schlagzeuger Chano Pozo getan. Eines Tages fand man ihn, durchlöchert von den Schüssen einer Maschinenpistole, in einer Bar in Harlem. Der Mordfall wurde nie aufgeklärt. Aber die Gerüchte verstummten nicht, dass Chano Pozo von seinen Glaubensgenossen ermordet worden sei, weil er heilige Gesänge in die Öffentlichkeit getragen und damit entweiht habe.
Dieses Schicksal fürchtet man nun auch für Yma Sumac. Zwar war Chano Pozo Neger, während Yma Sumac Indianerin ist, aber die Inkas Perus gelten seit je als die temperamentvollsten unter den in Lethargie gefallenen amerikanischen Indianern. Sie geben sich nach außen hin als Katholiken, pflegen aber trotzdem im geheimen die jahrhundertealten Bräuche ihrer Inka-Religion mit sektenhaftem Fanatismus. Darum wird Yma Sumac von einem Schwarm ausgewählter Detektive bei Tag und Nacht bewacht.

Die Titel der Lieder, die Yma Sumac in Hollywood für Capitol sang, sprechen für sich selbst: „Lied der erwählten Jungfrauen“, „Heiliges Erdbeben“, „Tanz auf dem Fest des Mondgottes“, „Junge Frau, die dem Sonnengott gehört“ und ähnlich heißen sie.
Einige dieser alten Inka-Lieder sang Yma ohne jede Begleitung. Der Hollywooder Arrangeur und Dirigent Les Baxter komponierte erst nachträglich die Instrumentalbegleitung dazu, die durch einen technischen Prozeß mit den Magnetophonbandaufnahmen von Yma Sumac synchronisiert wurde. So hören sich die Schallplatten an, als würde Yma Sumac in der üblichen Weise von einem Orchester begleitet.

Ymas Schallplatten werden von Capitol als „die beste finanzielle Investition der letzten Jahre“ bezeichnet. Mehr als 100.000 Platten-Alben wurden bereits verkauft. Als vor einiger Zeit ein weiteres Schallplatten-Album mit 15 Titeln aufgenommen werden sollte, musste New Yorks „Roxy“, wo die Sumac auftrat, seinen Spielplan ändern. Die komplizierten Schallplattenaufnahmen konnten nur in den mit allen Raffinessen ausgestatteten Hollywooder Studios von Capitol erfolgen.

Yma hat sich bisher ziemlich wenig amerikanisiert. Die stolze, temperamentvolle Schönheit mit dem indianischen Gesichtsschnitt und den leicht verschleierten Danielle-Darrieux-Augen ist frei von der Vulgarität der Nachtlokal-Chansonette und von der manierierten Vornehmheit der Konzertdiva.
Ohne spezielles Operntraining sang sie in Südamerika Sopranpartien in „Rigoletto“, „Traviata“, die halsbrecherischen Koloraturen der Königin der Nacht in der „Zauberflöte“. Trotzdem hat sich Rudolf Bing, der Manager der New Yorker Metropolitan Oper, bisher noch nicht entschließen können, den peruanischen Broadway-Star frisch vom Unterhaltungstheater weg an die berühmteste Oper der Welt zu verpflichten. Ein amerikanischer Kritiker fragte nach ihrem ersten Washingtoner Konzert: „Schläft die Met“?







Ataypura.mp3
(ziemlich exotisch)
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(eher modern)
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(sehr schöne Tanzmusik)
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(etwas exotisch)