23. Februar 1998
 Man muß nicht wie ein Mönch leben, um ein guter Sänger zu sein 

Wagner macht die Stimme schwer: Der Tenor-Altmeister Nicolai Gedda singt sich heute im Schauspielhaus "In 80 Tagen um die Welt" 

Von Martina Helmig 


Er ist einer der letzten großen Stilisten, der ideale Lenski, der gefeierte Faust, der atemberaubende Herzog. Nicolai Gedda war im italienischen, deutschen, russischen und französischen Repertoire gleichermaßen zuhause. Der lyrische Tenor ist 72 Jahre alt, und noch immer singt er - so auch heute abend beim von der Berliner Morgenpost unterstützten Rosenmontagskonzert "In 80 Tagen um die Welt" im Konzerthaus am Gendarmenmarkt. Wir sprachen mit dem freundlichen, offenherzigen Schweden.

Sie singen heute abend nicht nur Arien aus "La Traviata", der "Lustigen Witwe" und dem "Land des Lächelns". Sie nehmen sich zum erstenmal auch ein Walzerlied aus Leo Falls Operette "Rose von Stambul" vor. Sind solche Debüts für Sie selten geworden?

Nicolai Gedda: Sehr selten, seit ich die Opernbühne verlassen habe. Vor etwa vier Jahren habe ich meinen letzten Hoffmann gesungen, und nur für den Abdisu aus "Palestrina" habe ich danach noch eine Ausnahme gemacht.

Im Frühjahr kommt im Berliner Parthas-Verlag ein Buch über Sie heraus - eine neue Biografie?

Gedda: Ja, sie heißt "Mein Leben, meine Kunst". Meine Frau hat sie geschrieben.

Sie haben 70 Opern- und Operetten, 20 Oratorien und 300 Lieder eingespielt. Gibt es unerfüllte Wünsche?

Gedda: Nein, ich habe in meinem Leben alles gemacht, was ich wollte. Mein großer Wunsch war es, lange singen zu können. Nun dauert meine Karriere schon 45 Jahre an, weil ich ständig an meiner Technik gearbeitet habe.

Welche Rolle spielt Disziplin?

Gedda: Die größte. Man muß nicht wie ein Mönch leben. Aber exzessives Trinken und Rauchen ist für einen Sänger unmöglich. Ein Kollege von mir ist vor der Vorstellung immer ins Spielcasino gegangen, in diese verräucherte Luft. So eine Karriere dauert natürlich nicht lange.

Ebenso wichtig ist sicher auch die Auswahl der Rollen.

Gedda: Unbedingt, aber da habe ich auch Fehler gemacht...

Sie meinen "Lohengrin"?

Gedda: Ja, die Partie wurde mir von Agenten und Dirigenten eingeredet. Die Stimme wird schwerer, wenn man sich mit Wagner beschäftigt. Nach dem halbheldischen "Lohengrin" habe ich furchtbare Schwierigkeiten mit dem Belmonte aus der "Entführung" bekommen. Ich wollte aber unbedingt weiter Mozart singen. Den "Lohengrin" in Bayreuth mußte ich also absagen. Wolfgang Wagner wurde richtig böse.

Sie sagten einmal, daß Sie in Ihrer Jugendzeit große Sänger und große Aufführungen erlebt hätten und jetzt oft enttäuscht wären?

Gedda: Heute wird soviel gebrüllt, die Kunst der Nuancierung hat stark nachgelassen. Natürlich gibt es wunderbare Sänger. Aber die Großen aus den fünfziger, sechziger Jahren wie Elisabeth Schwarzkopf, Christa Ludwig oder Dietrich Fischer-Dieskau, die gibt es nicht mehr.

Woran liegt das?

Gedda: Die Jungen haben es eilig. Mit 27 Jahren sollte man noch nicht den Herzog aus "Rigoletto" singen. Ich bin auch nicht sicher, daß Intendanten, Dirigenten und Agenten immer Verständnis dafür haben, was die Entwickung einer Stimme bedeutet.

Sie haben eine schwedische Mutter, einen russischen Vater und sind in Deutschland aufgewachsen. Später haben Sie noch italienisch, englisch und französisch dazugelernt. Sprechen Sie all diese Sprachen so akzentfrei wie deutsch?

Gedda: Ja, das war mir für den Gesang sehr wichtig. Aber nicht nur. Wenn man viele Sprachen spricht, fühlt man sich überall mehr zuhause.

Sie sind mit dem Don-Kosaken-Chor auf Tournee gegangen. Haben Sie öfter solche Ausflüge unternommen?

Gedda: Die Tournee war mir in Wirklichkeit viel zuviel. Ich will nicht jeden Tag singen. Ich singe manchmal mit dem Chor der russischen Kathedrale in Helsinki. Russisch-orthodoxe Kirchenmusik habe ich seit meiner Kindheit besonders gern. Mein Vater war ja Kantor der russisch-orthodoxen Gemeinde in Leipzig.

Was bringt die Zukunft?

Gedda: Ich unterrichte, singe ab und zu in Konzerten oder Liederabenden. Reisen will ich nicht mehr so viel, vor allem nicht in große Städte.


©Berliner Morgenpost 1998